Mashup Germany (DJ, Produzent): "Musik ist freier denn je"
Mashup Germany, auch bekannt unter dem Pseudonym BenStilller, mischt Musik. Er mischt sie nicht ab, sondern zusammen. So landen etwa Lyrics von Deichkind auf einem Beat von Prodigy. Legal ist das nicht, aber eine Möglichkeit, Songs in neuem Gewand zu erleben. Und neben einer rechtlichen und profitablen Angelegenheit ist Musik schließlich auch ein Erlebnis, oder?
Wie ist deine Einstellung zur aktuellen Urheberrechts-Problematik?
Die Problematik ist vielseitig. Die Industrie ist froh, wenn alles so bleibt wie es ist, nämlich: ein restriktives Urheberrechtsgesetz, das niemandem erlaubt, irgendwas mit urheberrechtlich geschütztem Material zu machen. Damit leben sie aber in einer vergangenen Zeit, weil sie nicht verstehen, dass sich die Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten total verändert haben und damit das Geschäftsmodell, mit dem sie bislang ihr Geld verdient haben, nicht mehr zieht.
Gleichzeitig wird der Gesetzgeber nicht dazu angehalten, etwas zu ändern, weil es auf der Konsumentenseite an Macht und Einfluss fehlt: Da ist einfach niemand, der sich dafür einsetzt. Es gibt ganz wenige Künstler, die unabhängig gesignt sind und ihren Direktvertrieb über neue Verbreitungsmöglichkeiten aufgebaut haben. Es werden zwar immer mehr – mittlerweile auch ein paar große Namen – aber die haben natürlich auch Besseres zu tun, als sich politisch einzubringen. Es fehlt schlicht an der Lobby.
Würdest du sagen, Musik sollte frei für alle sein?
Musik ist frei, freier denn je! Es gab noch nie einen Zeitpunkt, an dem so viele Menschen mit so einem geringen Aufwand so viel Musik konsumieren konnten. Das Problem: die Situation ist für beide Seiten nicht ideal. Konsumenten bewegen sich ständig im Bereich des Illegalen – Stichwort: illegale Downloads, YouTube, et cetera. Auf der anderen Seite verdienen die Musikproduzenten, nichts mehr, weil sich die Konsumgewohnheiten so stark verändert haben. Im Prinzip ist Musik frei verfügbar, aber gesetzlich ist dieser Zustand in einer Art und Weise geregelt, dass es sowohl für den Konsumenten als auch für die Produzenten mehr als suboptimal ist.
Hast du konkrete Vorstellungen, wie man diesen Zustand ändern könnte?
Absolut: Ich bin schon seit Jahren ein großer Befürworter der Kulturflatrate. Die wurde mittlerweile sogar von einigen Parteien, etwa den Grünen, ins Wahlprogramm aufgenommen. Allerdings stehen die Chancen meiner Meinung nach schlecht, dass sich dieser Gedanke in den nächsten Jahren in ein Gesetz gießen lässt. Wenn, dann bräuchten wir ein europaweites, wenn nicht sogar ein globales Urheberrechtsgesetz und das ist wohl kaum zu erreichen. Einige EU-Länder haben schließlich deutlich restriktivere Urheberrechtsgesetze als wir. Dennoch werde ich mein Engagement weiterhin in die Welt hinaustragen, weil ich der Meinung bin, dass die Stimme der jungen Generation – die sogenannten Digital Natives unter 30 Jahre – immer lauter werden wird. Diese Generation wird irgendwann in die verantwortungsvollen Positionen hineinwachsen und dann wird sich auch was tun.
Würdest du sagen, der Wert von Musik hat abgenommen?
Nein, ganz im Gegenteil. Wenn man sich Marktanalysen zum Konsumverhalten der Leute ansieht, zeichnet sich ab, dass der Musikkonsum zunimmt. Er ist vielleicht nicht mehr so intensiv, wie das bei anderen Generationen der Fall war, aber ich glaube nicht, dass der Wert von Musik abgenommen hat. Die Vermarktungsmöglichkeiten für Musik haben sich geändert. In den Neunzigern, als die Plattenfirmen noch Milliarden mit CDs umsetzten, konnten sie alle zwei Wochen irgendeinen Mist auf den Markt bringen: Die Leute haben ihn gekauft. Das geht heute nicht mehr. Die Menschen entscheiden nach Qualität. Sie halten nach Künstlern Ausschau, die sie mögen. Für die Musik dieser Künstler sind sie auch bereit zu zahlen; sei es auf Vinyl, auf CD, im iTunes-Store oder beim Live-Gig. Es wird jedenfalls wesentlich stärker selektiert als früher. Viele Indies und kleine Labels haben ihr Geschäftsmodell von Anfang an den Bedingungen angepasst. Dort wird beispielsweise an Konzerten mitverdient, das Tour-Management sitzt im Haus, die Aufgaben ändern sich einfach, hin zu einer "Künstlervollbetreuung". Wir erleben eine Entwicklung, die die gesamte Branche gerade in großem Maße verändert und auch weiterhin verändern wird.
Eine der Entwicklungen in den vergangenen Jahren war das massenhafte Versenden von Abmahnungen. Wurdest du je mit so einem anwaltlichen Schreiben konfrontiert?
Ich zum Glück nicht, aber DJ Morgoth, einer bekanntesten deutschen Mashup-Produzenten. Er hatte den Fehler gemacht, seine Mashups auf seinem eigenen Server zu hosten. Das mache ich nicht. Ich lade meine Mashups nur auf den Seiten von Drittanbietern hoch. Rechtlich ist das kein sonderlich großer Unterschied, allerdings senkt man so die Handlungsmöglichkeiten für Abmahn-Kanzleien und ist rechtlich besser geschützt. Auch in der Schweiz wurde kürzlich ein bekannter Mashup-DJ abgemahnt, was ihn über 10.000 Euro gekostet hat. Die Kanzleien schießen sich immer mehr auf Mashup-Künstler ein. Auf der anderen Seite nimmt die Unterstützung durch Labels international zu. Die schwedische Künstlerin Robyn ist ein gutes Beispiel: Ihr Label hat die Gesangsspuren ihrer Songs bereits vor offizieller Veröffentlichung an Mashup-Produzenten verschickt. So wurden die Songs viral verbreitet und das Label sparte sich eine Menge Marketing-Kosten. Das Konzept ist voll aufgegangen. Robyn ist inzwischen eine echte Größe in der Popmusik.
Hast du auch schon Unterstützung durch Labels erhalten?
Ja, es werden immer mehr. Inzwischen sind auch einige größere Labels dabei, was mich natürlich enorm freut. Von Rootdown Records (Mono&Nikitaman) über Planetpunkmusic (Lolita) oder TurbanMusic (Jamaram) bis zu 4Music ( Jan Delay ). Alles Labels, die den Wert von Mashups erkannt haben und mich bei meiner Arbeit mit Gesangsspuren und anderen Dingen unterstützen.
Angenommen, du würdest einen Mashup-Song kommerziell nutzen wollen, welche Rechte müsstest du einholen?
(lacht) Eine Menge: Zunächst mal bräuchte ich neben dem Nutzungs- und Verarbeitungsrecht das Bearbeitungsrecht – und zwar für jedes einzelne Sample, das ich verwende. Diese Lizenz zur Bearbeitung einzelner Tracks wird extra abkassiert. Dann könnte ich einen Track theoretisch zu kommerziellem Nutzen veröffentlichen. Das kostet allerdings insgesamt so viel Geld, dass es sich kaum lohnt. Allerdings ist das nicht der Grund, weshalb ich meine Mashups umsonst anbiete. Das hat vielmehr damit zu tun, dass ich nun mal nicht der alleinige Urheber bin. Meine Arbeit ist – auch laut deutschem Recht – ein abhängiges Werk. Das heißt, ich kann nur etwas erschaffen, wenn vor mir schon jemand etwas erschaffen hat. Das hat zwar trotzdem einen künstlerischen Wert, allerdings möchte ich dafür kein Geld verlangen. Der weltweit bekannte Mashupkünstler GirlTalk hat vor Kurzem sein neues Album über das Label Illegal Arts veröffentlicht und hat den Usern dabei überlassen, wie viel sie für das Album zahlen wollen. Er hatte kein einziges Sample lizenziert, beschwert hat sich bisher noch keiner der Rechteinhaber. Das ist fast schon eine Sensation. Allerdings ist das für mich keine Option, solange es keinen vernünftigen rechtlichen Rahmen gibt.
Du könntest mit deiner Arbeit also durchaus in rechtliche Schwierigkeiten geraten. Is dir das bewusst?
Ich verstoße gegen geltendes deutsches Recht. So einfach ist das. Dieser Tatbestand ist zunächst einmal unabhängig von den Konsequenzen. Die bleiben meisten aus – zumindest die negativen – weil, wie gesagt, immer mehr Labels meine Arbeit unterstützen. Es kann allerdings immer sein, dass ein Label nicht gut findet, was ich mache. Deshalb muss ich ständig mit Konsequenzen rechnen. Diesem Risiko setze ich mich bewusst aus und rede auch darüber. Ich denke, nur, indem man über ein Thema öffentlich spricht, kann eine gesellschaftliche Diskussion entstehen. Eine erste Konsequenz meiner Arbeit gab es erst vor kurzer Zeit. Mein YouTube-Kanal wurde durch das Zutun der Warner Music Group gesperrt. Zehn Millionen Views, zehn Millionen Meinungsäußerungen wurden damit in die ewigen Jagdgründe des Internets geschickt. Von zwei Jahren meiner Arbeit ganz zu schweigen.
Das heißt: Auch wenn Du für den Upload deiner Songs nur Seiten von Drittanbietern nutzt, schützt Dich das nicht völlig?
Richtig. Man könnte mir jeder Zeit ein Briefchen schicken, in dem steht: "Wir wollen das nicht". Das kann in Form einer Abmahnung geschehen oder aber, wenn ich Glück habe, ohne Geldforderung. Das Interessante ist, ich kenne in Deutschland mit Ausnahme der DJ Morgoth-Geschichte keinen Fall, wo das einem Mashup-Künstler oder Remix-DJ passiert wäre. Es gab in den Neunzigern zahlreiche Remix-DJs, die ihre Tracks auf Vinyl gepresst und verkauft haben. Die haben bis heute nichts von den Labels gehört.
Wie müsste ein rechtlicher Rahmen aussehen, in dem Mashup-Künstler sich nicht am Rande der Illegalität bewegen und die Urheber auch etwas von der Nutzung ihrer Werke haben? Hast du eine Idee?
In den USA gibt es die Creative-Commons-Lizenz, die im Grunde genommen besagt: "Du darfst das Material von anderen verwenden und auch veröffentlichen." Gleichzeitig regelt diese Lizenz auch den Verteilungsschlüssel der Einnahmen. Das übernehmen in Deutschland die Verwertungsgesellschaften mit Hilfe eines bürokratischen Monsters. Dieses Prozedere wurde durch die Creative-Commons-Lizenz vereinfacht, zumal sie nicht nur für musikalische Werke gilt. Auch für Kultur und Wissenschaft gibt es die Möglichkeit, diese Lizenz zu nutzen, etwa zu Bildungszwecken an Schulen. So eine Lizenz benötigen wir dringend auch in Deutschland.
Der Creative-Commons-Ansatz ist also ein gutes Vorbild?
Absolut, wobei die Creative-Commons-Lizenz meiner Meinung nach immer noch nicht weit genug gefasst ist. Im Prinzip handelt es sich um einen Teilerfolg auf dem Weg zum freien Urheberrecht, wenn man so will. Das bedeutet, dass einen Verteilungsschlüssel gibt – in Deutschland und irgendwann hoffentlich auch europaweit – wonach die Künstler vergütet werden. Technisch ist das bereits heute kein Problem. Allerdings müsste man GEMA und Co. dafür Grundsanieren.
Hältst du diese Entwicklung für wahrscheinlich?
Nein, auf keinen Fall. Wenn, dann läuft es wie bei der Bundeswehr: Alle wissen 30 Jahre lang, dass sie nicht mehr zeitgemäß ist und irgendwann wird der Leidensdruck so groß, dass man beginnt etwas zu ändern. Das wird allerdings erst dann der Fall sein, wenn die Labels und die Künstler der Meinung sind, dass sie nicht mehr ihrer Arbeit entsprechend entlohnt werden. Das Problem ist, dass nur die großen Labels eine Lobby in Berlin haben. Die kleinen Labels können das gar nicht leisten. Die Künstler der großen Labels wiederum profitieren durch die GEMA unglaublich und würden sich nie beschweren. Gelackmeiert sind wir: die freien Künstler, die Indie-Labels, ohne einflussreiche Lobby.
Wie entsteht ein Mashup? Weißt du sofort, welche Gesangsspur über welchen Beat passt? Oder probierst du einfach aus?
Hmm, eine Kombination aus beidem. Ich weiß noch, als ich "Satellite" von Lena das erste Mal gehört habe, wusste ich, dass ich die Harmonien irgendwo schon mal gehört hatte. Irgendwann kam ich drauf: im "Liebeslied" der Absoluten Beginner. Manchmal schlummert da irgendetwas in meinem Gehirn und dann finde ich es vielleicht. Manchmal sage ich aber auch direkt: "Wow, der Beat ist so stark, aber ich mag die Stimme oder den Harmonielauf im Original nicht." Dann suche ich eben etwas Passendes. Ich bin gerade dabei, ein Tutorial zum Thema "Wie entsteht ein Mashup?" zu produzieren. Neben der rechtlichen Seite wird darin auch die Produktionsweise Schritt für Schritt erklärt. Ich erhalte täglich Anfragen aus der ganzen Welt von Leuten, die gerne selbst Mashups produzieren würden, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen oder sich aber nicht sicher sind, ob sie es überhaupt dürfen.
Wie verdienst du eigentlich Geld, wenn du deine Mashups umsonst anbietest?
Ich bin ja mit meinen Mashups auch unterwegs und lege damit auf. Dafür bekomme ich natürlich Geld, weil ich der Meinung bin, dass das eine eigene Dienstleistung ist – ich bereite mich vor, reise an, und so weiter. Ich habe keine Skrupel, dafür eine Gage zu verlangen. Wenn ich abends im Club stehe, bin ich in erster Linie DJ. Außerdem bin ich nebenbei als freier Musikredakteur tätig und organisiere auch eigene Veranstaltungen. Ich bin da relativ vielseitig, auch wenn die Mashup-Geschichte immer mehr Zeit in Anspruch nimmt, was mich natürlich freut.
Allerdings schränkt dich die aktuelle Gesetzeslage ja noch ein, oder? Es klang auch nicht so, als würde sich das in naher Zukunft ändern.
Ich wünschte, ich könnte optimistischer sein. Das Thema Mashups kann als Fallbeispiel für ein Gesetz herangezogen werden, das jegliche kulturelle Entwicklung in unserem Land hemmt. Das Patentrecht ist ein weiteres Beispiel: Ursprünglich hat es unserem Land den Aufstieg zu einer Industrienation ermöglicht. Mittlerweile ist es aber veraltet und führt dazu, dass unsere Industrie total blockiert ist. Der Grund dafür ist aus meiner Sicht, dass man Innovationen nicht teilen und gemeinsam weiterentwickeln kann. Dann wundern wir uns, wenn Länder in Asien an uns vorbeiziehen. Was ich sagen will, ist: Mashups sind eine Lebenseinstellung. Eine Einstellung, die für eine offene und freie Gesellschaft wirbt.
Woran liegt es, dass offensichtlich veraltete Gesetze nicht sofort überarbeitet werden?
Ich glaube, die Antwort darauf ist simpel. Es ist dieselbe Antwort wie auf die Frage, "Warum ist das Römische Reich untergegangen?" Überall da, wo Menschen über einen längeren Zeitraum mit unglaublichem Wohlstand gefüttert werden und sich in einem komfortablen Lebensumfeld wiederfinden, versuchen sie, die existierenden Umstände zu erhalten. Sie werden konservativ und verlieren die Fähigkeit, sich zu verändern. Veränderung heißt Evolution und wer sich nicht verändert, stirbt. Man kann das aktuell in Amerika und Teilen Europas verfolgen: Menschen, die mit dicken Bäuchen voller Protektionismus durch die Welt gehen, verlieren den Anschluss.
Ein Fazit bitte.
Musik ist kein Produkt, sondern ein Kulturgut, eine Bereicherung für das Leben der Menschen. Und um Gottes Willen: Die Künstler sollen und müssen Geld für ihre Musik nehmen. Doch lasst die Leute entscheiden wie viel. Sie werden es honorieren, das hat die Vergangenheit gezeigt.
Quelle: Musikmarkt Online, 11.3.2011
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen